In Anknüpfung an die ersten beiden Muldekonferenzen „Mulde quo vadis“ am 25.10.1997 und 08.09.2007 in Raguhn, hatten sich die Gemeinde Muldestausee und der Arbeitskreis Hallesche Auenwälder zu Halle (Saale) e.V. (AHA) entschieden gemeinsam am Samstag, den 30.09.2017 eine 3. Muldekonferenz durchzuführen. Als Ort hatten die beiden Veranstalter das Herrenhaus Muldenstein, Am alten Kloster 1 in 06774 Muldestausee ausgewählt. Die Veranstaltung begann 10:00 Uhr.

Auch mit dieser Konferenz verfolgten die Gemeinde Muldestausee und der AHA das Ziel auf die Vielfältigkeit und Bedeutung des am schnellsten fließenden Flusses Mitteleuropas und nicht schiffbaren Nebenflusses der Elbe hinweisen sowie Vorschläge zum besseren Schutz und Betreuung der Mulde vorlegen zu lassen und diskutieren.

Alleine auf dem 124 km langen Weg als Vereinigte Mulde ab dem Zusammenfluss von Zwickauer Mulde (ca. 166 km) und Freiburger Mulde (124 km) existieren an dem Fließgewässer zahlreiche wertvolle und bedeutsame Auenlandschaften, welche prägend für den gesamten Landschaftsraum sind und daher ländergreifend im Land Sachsen-Anhalt und im Freistaat Sachsen zu schützen gilt.

Der Vorsitzende des AHA Andreas Liste verwies zur Eröffnung der Veranstaltung auf die vielfältige, länderübergreifende Bedeutung der Mulde und der zahlreichen Interessen im Flusseinzugsgebiet. Die Mulde konnte auf Grund der nicht erfolgten Ausbaumaßnahmen zur Schiffbarmachung eine vielfältige naturnahe Struktur behalten. Jedoch haben jahrzehntelange Wasserverschmutzung durch Industrie und Haushalte sowie die Folgen des Bergbaus zahlreiche Spuren hinterlassen. Daher gilt es insbesondere zu prüfen, inwieweit Ufer- und Sohlbefestigungen sowie Bauwerke in und am Wasser eine Beseitigung erfahren können. Ferner gehören die Rückgabe von Retentionsflächen sowie naturnahe Entwicklungsmöglichkeiten in den Tagebaufolgelandschaften dazu. Der Schutz, der Erhalt und die Entwicklung einer sehr vielfältigen Fauna und Flora muss unser aller Ziel sein. Nicht umsonst gehören ca. 1.191 ha der Muldeaue zum Naturschutzgebiet „Untere Mulde“. Nur so lassen sich Umwelt, Natur und Landschaft schützen sowie ein darauf abgestimmter Tourismus und damit verbundene Umweltbildungsarbeit gestalten. Dabei verwies Andreas Liste auf dem aus dem Jahr 2008 stammenden Plan des AHA einen Naturerkenntnispfad in der unteren Mulde im Stadtgebiet von Dessau-Roßlau zu errichten sowie die Aktivitäten des Vereins zur Betreuung der Streuobstwiese „A, Landhaus“ in der Stadt. In dem Sinne wünschte er den anwesenden 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen guten und konstruktiven Verlauf. Dabei dankte er der Gemeinde Muldestausee für die Bereitstellung der Räumlichkeiten und Technik.

Im Anschluss daran nahm der stellvertretende Bürgermeister der Gemeinde Lutz Schneider den Dank mit Genugtuung entgegen und richtete nachdenkliche Worte an die Anwesenden. So wies er darauf hin, dass Zitat

„Die Gemeinden und kreisfreien Städte sind die unterste Ebene im bundesdeutschen Verwaltungsaufbau. Sie agieren direkt und unmittelbar mit den Bürgerinnen und Bürgern. Niemand, außer ehrenamtliche Vereine und Initiativen, ist näher an der Bürgerschaft als wir. Wir Kommunen sind allerdings zugleich diejenigen, welche sich in der vergleichenden Betrachtung vermutlich mit der größten Aufgabenfülle konfrontiert sehen, ohne mit ausreichend finanzielen, personellen und sächlichen Mitteln ausgestattet zu werden, um diese zufriedenstellend bewältigen zu können.“, Zitat Ende

Ferner stellte er im Laufe seiner Ausführungen führte Lutz Schneider folgende Fragen in den Raum, Zitat:

„Vor diesem Hintergrund stellen sich uns als Gemeinde Muldestausee viele Fragen, denen gegensätzliche Interessen und offenkundige Konflikte innewohnen.

Gibt es in unserem nahezu vollständig vom Menschen gestalteten Kulturraum überhaupt „natürliche Biotope“?

Wie können und sollen diese geschützt, erhalten, gepflegt und gestaltet werden? Wer übernimmt diese Aufgabe und mit welchen Mitteln wird sie erledigt?

Wie können Hochwasserschutzbelange mit diesen Erhaltungs- und Schutzmaßnahmen vereinbart werden?

Wie können die Gegensätze intensiver Land- und Forstwirtschaft mit den Vorhalten weiträumiger Schutzbereiche und sich selbst überlassener Naturräume aufgelöst werden?

Wie kann die Entwicklung eines sanften Tourismus als zukunftsträchtiger Wirtschaftszweig mit kommunalen Einnahmemöglichkeiten sowie regionalen Arbeitsplatzangeboten mit den Belangen des Natur- und Umweltschutzes verträglich gestaltet werden?

Wie kann der Konflikt Artenvielfalt und -erhalt (Stichwort Biber) mit dem Vorhalten effektiver Hochwasserschutzanlagen gelöst werden?“, Zitat Ende

In seinen daran anschließenden umfassenden, fachlich sehr fundierten Ausführungen zum Thema „Die ökologische Bedeutung unserer Auenwälder und Auenlandschaften – Gefährdung, Schutz und Entwicklung“ legte Detlef Eisewicht, 2. stellvertretender Vorsitzender des AHA dar, wie vielfältig und schützenswert die Fauna und Flora die Auen von Mulde und Fuhne in den Stadtgebieten von Bitterfeld-Wolfen und Raguhn-Jeßnitz prägen. Jedoch intensive Landwirtschaft mit ihren Einträgen von Nährstoffen und Pestiziden sowie massive forstwirtschaftliche und wasserbauliche Eingriffe in dem Salegaster Forst tragen keinesfalls zum Schutz von Umwelt, Natur und Landschaft bei. Er verwies zudem auf den am 04.11.2008 an die damalige Ministerin für Landwirtschaft und Umwelt Petra Wernicke gerichteten Erweiterung des NSG „Untere Mulde“ und Vogel-schutzgebietsneuausweisungen, , wobei die schutzwürdigen Gebiete: Hartholzauenwald „Salegaster Forst“ (ca. 450 ha), Hartholzauenrestwald „Wolfener Busch“ (ca. 20 ha) und Muldensteiner Berg (mit seinen bewaldeten Hängen, stillgelegten Steinbrüchen und dem Stillgewässer „Walm“) in dieses Naturschutzgebiet einzubeziehen sind. Ebenfalls erwähnte er den Antrag vom 16.11.2013 auf Ausweisung eines ca. ca. 130 ha großen Naturschutz- und Vogelschutzgebietes „Fuhneniederung Reuden-Salzfurtkapelle mit dem Reudener Busch“ an den Präsidenten des Landesverwaltungsamtes Thomas Pleye. Leider blieben bisher Reaktionen aus. Selbst Eingangsbestätigungen hat der AHA nie erhalten.

Daran anknüpfend befasste sich Karl-Andreas Nitsche mit den „Ökosystemleistungen des Bibers“. Seine Ausführungen beinhalteten folgende Aussagen, Zitat:

„Biber gestalten in vielfältiger Weise ihren Lebensraum und verändern diesen nach ihren Bedürfnissen. Sie werden als „Baumeister und Wasserbauingenieure“ bezeichnet. Doch besonders durch ihre umfangreichen Aktivitäten (Bäume fällen, Wasser anstauen, Ufer untergraben) genießen sie nicht immer die Toleranz bei Nutzern und Rechtsträgern. Oft fallen Biber dadurch bei einseitiger Sicht auf die Dinge in Ungnade und werden als „Schädling“ abgestempelt.

Die Funktion und ihre Rolle bei Ökosystemleistungen, die Biber erbringen, wird meistens kaum in Erwägung gezogen oder immer noch stark vernachlässigt. Was ist unter Ökosystemleistungen zu verstehen? Für uns nützliche Prozesse werden Ökosystemdienstleistungen (ecosystem services) oder kurz Ökosystemleistungen genannt. Dabei ist die Biodiversität eine grundsätzliche Voraussetzung von Ökosystemleistungen aus welchen Menschen direkt oder indirekt Nutzen ziehen. Nicht nur die Anzahl der Arten (Biodiversität) ist wichtig, sondern auch die Vielzahl von biologischen Wechselwirkungen und Prozessen im Naturhaushalt.

Durch ihre Aktivitäten stellen Biber in ihren Lebensräumen Basisleistungen oder unterstützende Ökosystemleistungen bereit. Es entstehen Mikrohabitate in vielfältigen Formen. Das fördert die Artenvielfalt und dient somit zur Erhaltung einer genetischen Vielfalt. Wie kaum eine andere Tierart haben Biber besonders über lange Zeiträume zur Entstehung von Landschaftsformen beigetragen, fördern durch ihre Aktivitäten biologische Prozesse, Stoffkreisläufe, sorgen für funktionierende Nahrungsketten und schaffen Biodiversität und damit zahlreiche Ökosystemleistungen. Der Vortrag stellt die wichtigsten von diesen für uns kostenlosen Leistungen ins Blickfeld und fordert mehr Toleranz im Zusammenleben zwischen Menschen und Bibern. Die Einbeziehung von Biberaktivitäten in Renaturierungsprojekte, bei Landschaftsplanungen und bei der Umsetzung der Europäischen Wasserrahmen-Richtlinie ist unbedingt erforderlich.“, Zitat Ende

Cordula Herzog, Projektmitarbeiterin Bereich Umweltbildung ließ sehr anschaulich „17 Jahre Goitzsche-Wildnis der BUNDstiftung“ Revue passieren. Sie schilderte den sehr vielfältigen Weg von einer vom Bergbau geschundenen Landschaft hin zu einer sehr vielseitigen und zahlreichen Wandlungen unterworfenen Bergbaufolgelandschaft. Dabei gilt es den Spagat zwischen naturnaher Entwicklung in der eigentlich zur Mulde gehörenden Landschaft und einer touristischen Nutzung zu meistern, was nach ihrer Ansicht ganz gut gelungen ist bzw. gut gelingt. Cordula Herzog lud zum Besuch ein und rief zu einer intensiven Zusammenarbeit auf.

Der Direktor des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt (LHW) Burkhard Henning lenkte schließlich die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf das Thema „Hochwasserschutzmaßnahmen im Einzugsgebiet der Mulde“. Zu Beginn seiner Ausführungen ging er auf allgemeine Daten und Aufgaben des LHW ein. Dazu zählt, dass das LHW ca. 2.050 km Fließgewässer I. Ordnung mit folgenden Anlagen betreut:

Wasserbau
1.338 km Deich an Gewässern I. Ordnung; 45 Schöpfwerke mit Förderleistung 99,46 m³/s; 401 Deichsiele; 655 Wehre, Stauanlagen und Sohlbauwerke; 112 Sohlgleiten für Fischauf- und abstieg; 48 Technische Fischaufstiegsanlagen sowie 26 Umgehungsgerinne Gewässerkundlicher Landesdienst
1.200 Grundwasserpegel; 259 Oberflächenwasserpegel; 123 Durchflussmessstellen; 1 Lysimeteranlage; 560 Fließgewässermessstellen (Chemie); 40 Seen (Biologie und Chemie) sowie 460 Gütemessstellen (Grundwasser)
Der LHW-Direktor führte an der Mulde folgende Umsetzungsbilanz von Hochwasserschutzmaßnahmen an:

  • An der Mulde wurden seit 2002 etwa 77 % der 82 km Hauptdeiche umfassend saniert. Dabei wurden die konstruktiven Forderungen der DIN berücksichtigt. Damit liegt der erreichte Stand deutlich über dem Landesdurchschnitt.
  • Im Landkreis ABI beträgt der erreichte Stand hinsichtlich der Deichsanierungen gut 70 %.
  • Grund für den etwas geringeren Stand in ABI sind die Prioritätensetzungen in Ortslagen (Dessau) als auch langwierige Genehmigungsverfahren (Jeßnitz-West, Polder Rösa, DRV Altjeßnitz, DRV Retzau)

Die Umsetzungsbilanz von Schwerpunktmaßnahmen sieht nach seinen Aussagen folgendermaßen aus:

  • Stadtdeiche Jeßnitz einschl. Neujeßnitz
  • Stadtdeiche Raguhn einschl. Neubau Deich Raguhn – Neustadt
  • Deich Pouch einschl. Deich Lober-Leine-Kanal
  • Deichabschnitte Raguhn bis Möst einschl. örtlicher DRV
  • Fertigstellung Leineabsperrbauwerk 2015; erster Einsatz beim HW-Ereignis Februar 2017 planmäßig verlaufen

Die Maßnahmen zur Deichsanierung und -neubau in Verbindung mit Deichrückverlegung sehen nach Ausführungen von Burkhard Henning folgendermaßen aus:

  • Raguhn – Retzau 65 ha (re) – im Bau
  • Priorau – Niesau 70 ha (li) – fertiggestellt
  • Altjeßnitz 70 ha (re) – im Bau
  • Törten – Möster Höhen 35 ha (li) – im Bau Summe 240 ha
  • Polder Rösa 520 ha

Das miteinander abgestimmte Vorhaben von Sachsen und Sachsen-Anhalt zur Errichtung Polder Rösa und Löbnitz soll folgende Wirkungen entfalten:

  • Polder Löbnitz führt ab HQ25 zu Absenkungen der Wasserstände
  • Polder Rösa wird bei Hochwässern in der Größenordnung eines HQ100 und darüber genutzt, das Retentionsvolumen beträgt fast 20 Mio m3
  • Mit der Poldernutzung kann ein HQ200 auf ein HQ100 gekappt werden, das bedeutet erhebliche Wasserstandabsenkungen; Wirkung bis Muldemündung
  • Enge Zusammenarbeit mit Sachsen bei Planung und späterem Betrieb

Im Anschluss an die Ausführungen des LHW-Direktors fand eine angeregte Diskussion statt, welche die AHA-Auffassung beinhaltete, dass es alles zu unternehmen gilt die Scheitelwellen von Hochwasser gar nicht so aufstauen zu lassen und verstärkt der Mulde und ihrer Nebengewässer durch Deichrückverlegungen mehr Retentionsfläche zurückzugeben. Ferner bekräftigte der AHA, dass das Umweltbundesamt und das Statistische Bundesamt in Deutschland gegenwärtig eine tagtägliche Neuversiegelung von Boden im Umfang im Umfang von 69 ha Boden ausweist. Dies geht zumeist zu Lasten von fruchtbaren Böden und der Landwirtschaft. Das entspricht in etwa einer Fläche von ca. 100 Fußballfeldern und im Jahr in etwa einer Fläche von 25.185 ha -69 ha/Tag x 365 Tage/Jahr = 25.185 ha/Jahr. Im Vergleich dazu die Fläche der Stadt Leipzig, welche 29.760 ha beträgt.
Ferner führte die Art und Weise des Betreibens der Landwirtschaft auch im Gebiet der einstigen DDR nach 1990 zur Verarmung des Anbaus von Feldkulturen. Von einst 25 verschiedenen Kulturen, sind nur 7 übrig geblieben. Damit einher geht eine Verringerung der Humusanteile im Boden und eine Senkung des Anteils unverfestigter Böden, welche das Aufnahmevermögen von Wasser verringert und die Bodenerosion mit den darin enthaltenen Düngemitteln und Pestiziden erhöht.

Lutz Schneider ging noch einmal auf seine Eingangsausführungen ein und verwies u.a. auf Vernässungsprobleme in Folge des vermehrten Auftretens des Bibers, was den Widerspruch von Karl-Andreas Nitsche hervorrief. Beide vereinbarten sich jedoch schnell darauf sich mit der Angelegenheiten an konkreten Orten auseinanderzusetzen und dazu sich alsbald terminlich zu verständigen.

Nach der Mittagspause fand eine etwa zweistündige Exkursion durch die Muldeaue und das Gebiet am Steinberg statt. Dabei konnten sich die Exkursionsteilnehmerinnen und Exkursionsteilnehmer vor Ort von der Arten- und Strukturvielfalt, der damit verbundenen Schutzwürdigkeit sowie der Notwendigkeit der Stärkung von Biotop- und Grünverbundräumen und des Rückbaus von Uferbefestigungen und anderer Bauten am bzw. im Gewässer einen Überblick verschaffen.

Die anschließende Auswertung der 3. Muldekonferenz bekräftigte die Notwendigkeit des Schutzes, des Erhaltes und einer nachhaltigen Entwicklung der Mulde, ihrer Aue und angrenzender Landschaften. Man versicherte sich trotz oder gerade wegen unterschiedlicher Positionen in Kontakt und miteinander im Gespräch zu bleiben.

Wer noch mehr zu den Ergebnissen der 3. Muldekonferenz und zu Aktivitäten des AHA erfahren möchte, wende sich bitte an folgende zentrale Anschrift des ehrenamtlichen und gemeinnützigen Umweltvereins:

Arbeitskreis Hallesche Auenwälder
zu Halle (Saale) e.V. – (AHA)

Große Klausstraße 11
06108 Halle (Saale)
Tel.: 0345 – 2002746
E-Mail: aha_halle@yahoo.de
Internet: http://www.aha-halle.de

Grußwort stellv. Bürgermeister: 20170929_Grußwort_Muldekonferenz

Vortrag Karl Andreas Nitsche: VORTRAGNITSCHE

Vortrag Burkhard Henning Vortrag HWS BTF_Stand 092017

Innenraum im Herrenhaus Muldenstein

Innenraum im Herrenhaus Muldenstein

Innenraum im Herrenhaus Muldenstein

Fotos Dietmar Hörner

Fotos Andreas Liste